Erfahrungen geschehen nicht nach Plan; sie werden von Orten und Umständen geformt, auf die man sich einläßt. Wissen sucht sich seine Werkzeuge und Werkzeuge erzeugen neues Wissen.
Aufbruch
„Aufbruch“ drückt vieles von dem aus, was in unserer Jugendschule am Schlänitzsee seit 2007 geschehen ist, in seiner doppelten Bedeutung: Lehrer*innen, Eltern und Unterstützer*innen der staatlichen Montessori-Oberschule in Potsdam haben Gewohnheiten aufgebrochen und sich in Bewegung gesetzt, um Neues zu erproben und zu entwickeln, unter den Bedingungen eines Geländes mit schwierigen Eigentumsverhältnissen und einer problematischen Vorgeschichte.
Maria Montessori´s Erdkinderplan gab uns eine starke Richtung vor, wie die Schule den Übergang des Kindes zum Jugendlichen auf altersgemäße Art unterstützen kann. Ein Jahrhundert später sprechen wir von Jugendschulpädagogik, welche den wesentlichen Inhalt des Erdkinderplans in ihrer Umsetzung in die Gegenwart und angepasst an die Umstände transformiert.
Pädagogische Leitideen
Die Grundvorraussetzung unserer Pädagogik für die Jahrgangsstufe 7/8 ist das Wirken in freier Natur, in einem funktionierenden Ökosystem. Das Jugendschulgelände am Schlänitzsee im Norden von Potsdam ist unser pädagogische Arbeits- und Experimentierraum, die vorbereitete Umgebung, wenn man so will. Eine kontinuierliche Begleitung durch Menschen aus praktischen Berufen unterstützt die Ernsthaftigkeit des Alltags. Ernährung, Landwirtschaft, Handwerk, Gartenbau oder Landschaftspflege sind die Themen, welche alle Türen öffnen, um den Heranwachsenden selbstwirksames Handeln zu ermöglichen. Landbau spielt eine zentrale Rolle – wegen seiner grundlegenden Funktion für Leben und Überleben, wegen der Erkenntnisse über Natur, Biologie und Chemie, aber auch wegen seiner ökonomischen und ökologischen Gegenwartsgestalt: Was ist Ackerbau in Zeiten der Klimaveränderung? Wie verhalten sich Überfluss und Mangel in der Welternährung zueinander? Wie wirken sich Globalisierung und Migration, Landraub und steigende Bodenpreise auf Agrikultur und Lebensweisen aus? Und natürlich: wie stellen wir uns einen verantwortungsvollen Umgang mit Nutztieren vor?
Schule als Kooperation
Schon mehr als ein Jahrzehnt verbringen Schüler*innen des 7. und 8. Jahrgangs ein Viertel ihrer Schulzeit außerhalb des Schulgebäudes. In unserer Praxis wurde erfahren, dass Arbeiten und Lernen keine Gegensätze, sondern auf einander bezogen sind. Die Vorstellungen eines pädagogischen „Schonraums“ lösten sich auf und Lernen wurde als eine Praxis erfahren, die auf Situationen aus dem Moment heraus spontan und kreativ zu reagieren vermag. Es geht um die gemeinsame Meisterung von realen Situationen, je nach Lage mit konstruktiven Fähigkeiten, mit Improvisationen, einer Kombination von Tiefbohrung und weit ausholen, von horizontaler und vertikaler Ortsbestimmung der Jugendlichen wie auch der Lehrer*innen. Gerade diese nehmen dabei zunehmend die schwierige Balance ein zwischen nicht belehren und doch führen müssen. Wenn das gelingt, entsteht eine Praxis der Kooperation, da Wissensangebote oder Handlungsvorschläge nicht als vorgegebener „Lernstoff“ angesehen werden.
Wissen ist nicht privilegiert. Die Jugendschule ist ein Experimentierfeld für Erfahrungswissen, Reflexion, Feedback und Überprüfung. Innerhalb der Schule heißt das: die Aufgaben können nur in einem dauerhaften Kooperationsprozeß von Lehrer*innen, Eltern, den beteiligten Expert*innen sowie den Kindern und Jugendlichen bewältigt werden. Die Erfahrungen, die wir dabei gemacht haben und machen werden, wollen wir weitergeben.
Neuanfang
Die 2018 eröffnete Montessori-Gesamtschule (Schulzentrum am Stern) hat ein Außengelände für die 7./8. Jahrgangsstufe gefunden, direkt an der Nuthe gelegen. Die Verbindung zwischen unseren Jugendschulen ist nicht nur der Havel-Nuthe-Wasserweg. Lehrer*innen beider Schulen sind im Vorstand des Vereins „Jugendschulen einer Stadt e.V.“, aus unserer Schule sind das Martin Pfeiffer und Mario Parade. Der unabhängige Verein kümmert er sich um die strukturellen Rahmenbedingungen für den Betrieb vor Ort. Dazu gehören notwendige Absprachen mit Verpächter*innen, Verwaltung oder Behörden, die Bereitstellung der Infrastrukturen, die Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten sowie die Verbreitung der pädagogischen Idee. Nun gibt es also schon zwei Jugendschulen, die positive öffentliche Wahrnehmung und das Interesse nehmen spürbar zu.
André Rießler